DIE AKTUELLE PROZESSSITUATION BEI IMPFSCHÄDEN

Rechtliche Perspektiven und Herausforderungen

Der schnelle wissenschaftliche Fortschritt bei der Entwicklung und der Anwendung von COVID-19-Impfstoffen hat dazu geführt, dass ein bisher wenig beleuchtetes Gebiet der Rechtswissenschaft in den Vordergrund gerückt ist: die rechtliche Lage bei Impfschäden. Die komplexe Fragestellung und Balance zwischen dem individuellen Recht des Einzelnen auf körperliche Unversehrtheit und dem gesamtgesellschaftlichen Interesse an einer effektiven Impfstrategie gegen eine globale Pandemie, scheint bis dato nicht geklärt. Das Gegenteil ist der Fall. Es häufen sich die Berichte zu Impfschäden; die ersten Rechtsstreite sind deutschlandweit anhängig, die Prozesssituation nach wie vor komplex.

Wie ist die rechtliche Situation?

In Deutschland regelt das Arzneimittelgesetz (AMG) die Haftung bei Impfschäden. Gemäß § 84 Abs. 2 AMG wird gesetzlich in Abweichung von den allgemeinen Haftungsregeln vermutet, dass ein Schaden durch die Impfung verursacht wurde, wenn das injizierte Medikament nach den Besonderheiten des Einzelfalls auch geeignet ist, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden zu verursachen.

Die Kausalität zwischen Impfung und Schaden ist -wie bereits berichtet(LINK)- nach wie vor sehr schwer nachzuweisen. Eine zeitliche Korrelation zwischen Impfung und Schadenseintritt ist zwar ein wichtiger Faktor, aber eben noch nicht der Beweis für die Kausalität. Diese hängt von einer Vielzahl weiter zu berücksichtigender Einzelfaktoren ab, wie die Zusammensetzung und die Dosierung des Impfstoffs, die Art und die Dauer seiner Anwendung, die Lagerung sowie dem individuellen Schadensbild. Dieser Beweis ist nur durch einen medizinischen Gutachter zu erbringen. Im Falle der gerichtlichen Inanspruchnahme ist dies der gerichtlich bestellte Sachverständige.

Im Rahmen des Gerichtsprozesses beanspruchen wir für unsere Mandaten, die den Gesundheitsschaden nach einer Impfung glaubhaft darlegen können, zunächst (1) Auskunft nach § 84a AMG gegen den Pharmahersteller über Risiken und Nebenwirkungen des Impfstoffes, sowie die Hintergründe und die medizinischen Erkenntnisse des Zulassungsverfahrens in Erfahrung zu bringen. Diese Auskunft beinhaltet die gesamten Informationen über den beabsichtigten Gebrauch des Impfstoffes, dessen mögliche Nebenwirkungen und Risiken sowie alle Warnungen oder Vorsichtsmaßnahmen, die für den sicheren Gebrauch des Impfstoffs gelten. Die Auskunft nach § 84a AMG kann damit wichtige Informationen liefern, die zur Unterstützung des Sachvortrages und dem Beweis der Schadensersatzansprüche des geschädigten Patienten im Klageverfahren verwendet werden können.

Der Auskunftsanspruch gilt jedoch nicht uneingeschränkt, sondern besteht nur gegenüber Personen, die einen Gesundheitsschaden glaubhaft machen können, und bezieht sich nur auf Informationen, die auch nur für den geltend gemachten Gesundheitsschaden relevant sind und keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse darstellen. Ohne diese entsprechenden Auskünfte, auch wenn sie heraus zu klagen sind, führen wir in der Regel keine Prozesse, wie im Ergebnis das Urteils des LG Hof vom 03.01.2023 – 15 O 22/21 zeigt.

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Wo liegen die Grenzen der Haftung und was bedeutet die gesamtgesellschaftliche Nutzen-Risiko-Analyse?

Die Haftung für Impfschäden ist nicht grenzenlos.

Gemäß § 84 Abs. 1 AMG sind Ausnahmen von der Pflicht zur Leistung von Schadensersatz vorgesehen. Dabei geht es um die Frage, ob der Impfstoff „schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen“. Dies führt im Weiteren zu einer gesamtgesellschaftlichen Nutzen-Risiko-Analyse, die in der Rechtsprechung zu Impfschäden bisher nur eine untergeordnete Rolle spielte. Nun muss jedoch abgewogen werden, ob die Risiken und Nebenwirkungen des Impfstoffs im Vergleich zum gesamtgesellschaftlichen Nutzen einer Breitenimpfung vertretbar sind, was angesichts der Pandemie nur schwer zu verneinen ist. Denn es ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend, ob für den Geschädigten persönlich ein negatives Nutzen-Risiko-Profil bestand, da es auf die Gesamtheit der potentiellen Anwender ankommt. Lediglich die Argumentation, der junge geschädigte Patient habe mit der Impfung seine Mitmenschen vor der unkontrollierten Verbreitung der Infektionskrankheit schützen wollen und sei nun selbst schwer erkrankt, könnte die Argumentation stützen, was jedoch abzuwarten bleibt.

Aufgrund der vorzunehmenden Nutzen-Risiko-Analyse gibt es Impfschäden, die Betroffene schlichtweg hinnehmen müssen. Diese Regelung betrifft nicht die schweren Fälle und sind auch nicht auf Dauer angelegt.

Darüber hinaus hat der Gesetzgeber mit § 84 AMG eine verschuldensunabhängige Haftung des Arzneimittelherstellers statuiert, die einerseits eine Kausalitätsvermutungsregel enthält, andererseits die Haftung gleichzeitig begrenzt, um Anreize zur Entwicklung breitenwirksamer Impfstoffe zu bieten. Nach einem Urteil des OLG Karlsruhe sind Schäden, die nach der Nutzen-Risiko-Bewertung als sozialadäquat gelten, nicht ersatzpflichtig.

Über 200 Schadenersatzklagen gegen Corona-Impfstoffproduzenten sind derzeit in Deutschland anhängig. Aufgrund der Vereinbarungen bei der Impfstoffbeschaffung über die EU könnte auch die Bundesrepublik Deutschland auf Schadensersatz wegen Impfschäden in Haftung genommen werden. Wir begegnen diesem Umstand über eine gerichtliche Streitverkündung.
Prozessual gibt es zahlreiche streitige Punkte, insbesondere

• ob eine Impfreaktion oder ein Impfschaden vorliegt;
• ob dieser Impfschaden eine solch schädliche Wirkung hat, dass diese über ein vertretbares Maß für den Betroffenen hinausgeht;
•ob der zeitlich mit der Impfung korrelierende Schaden geeignet ist, durch den Impfstoff ausgelöst worden zu sein und
•zu welchem Zeitpunkt der jeweilige Impfstoff eine – ggf. nur eingeschränkte – Zulassung erhalten hatte und welche Risiken damals bereits bekannt gewesen waren.
Da der Schadenersatzprozess des Geschädigten für diesen unsagbar viele Hürden aufbaut, ist es verständlich, dass die Pharmahersteller in fast unverkennbarere Arroganz alle anspruchsbegründenden Tatsachen bestreiten, keine Einigung mit den geschädigten Patienten suchen und darauf vertrauen, dass der Gerichtsgutachter zu ihren Gunsten die Feststellungen trifft. Nur wenn der Gutachter die Kausalität des Impfschadens bestätigt und nachweist, dass der Pharmahersteller dies kannte oder hätte kennen müssen, werden sich die betroffenen Firmen gedanklich bewegen müssen und gegebenenfalls Vergleiche anbieten, um so Urteile zu verhindern, die publiziert und richtungsweisend sein können.

Daher ist jeder Fall individuell und muss es auch bleiben.

Zudem ist die Haftung der Pharmahersteller der Höhe nach gesetzlich begrenzt. Nach § 88 des Arzneimittelgesetzes (AMG) haften die pharmazeutischen Hersteller einer einzelnen Person höchstens auf einen Schaden in Höhe von 600.000,00 Euro. Sind mehrere Personen von dem gleichen Arzneimittel geschädigt worden, ist die Haftung für alle Verletzten auf 120 Millionen Euro begrenzt.

Schlussendlich handelt es sich bei diesen Prozessen um Gutachterprozesse, die sehr teuer sind. Die Gegenstandswerte überschreiten den Durchschnitt deutlich, sodass auch die Rechtsschutzversicherer die Deckungsschutzzusagen für diese Prozesse eher restriktiv erteilen. Dies ist nicht korrekt, da der Ausgang des Prozesses von den gutachterlichen Feststellungen abhängt, sodass die Versagung eines versicherten Risikos in diesem Fall nicht korrekt erfolgt, aber durch einzelne Rechtsschutzversicherer konstant vorgenommen wird. Hier muss der ohnehin geschädigte Patient darüber hinaus auch gegen seine Rechtsschutzversicherung vorgehen, was die prozessuale Situation nicht vereinfacht.

Welche Hürden sind zukünftig noch zu erwarten?

Neben der Nutzen-Risiko-Analyse birgt auch die oben benannte Frage nach der Kausalität zwischen Impfung und Gesundheitsschaden ein Beweisrisiko für die geschädigten Patienten. Aus den Parallelprozessen der Anerkennung als Impfschaden durch die Versorgungsämter ist bekannt, dass die Ursächlichkeit der Impfung für den Gesundheitsschäden eine große Streitfrage bleibt.

In Schadensersatzprozessen gegen die Corona-Impfstoffhersteller gibt es diese und weitere rechtliche Herausforderungen. So muss in dem Prozess festgestellt werden, ob gesundheitliche Schäden, wie der Verlust des Sehvermögens, Venenthrombosen, Autoimmunreaktionen, Infarkte, Nervenschäden etc. kausal auf den Impfstoff zurückzuführen sind. Es ist die Aufgabe des Geschädigten in dem Haftungsprozess nachzuweisen, dass die Impfung für die gesundheitliche Beeinträchtigung mindestens mitursächlich war.

Hierfür wird ebenfalls der Sachverständigenbeweis bemüht werden müssen, da nach bisheriger Erfahrung die behandelnden Ärzte der Geschädigten sehr zurückhaltend sind, in der Patientendokumentation einen Kausalzusammenhang zu dokumentieren. Selbst wenn dem Patienten durch seine Behandler eine Kausalität bestätigt wird, wird diese Frage im gerichtlichen Prozess erneut durch einen Sachverständigen geprüft.

Selbst bei den „bekannteren“ Krankheitsbildern wie beispielsweise einer Thrombose oder einer Myo-/Perikarditis ist nicht garantiert, dass der Kausalitätsnachweis gelingt. Für jeden Fall ist eine gesonderte Feststellung durch den jeweiligen Gutachter in dem Gerichtsverfahren erforderlich. Besondere Schwierigkeiten können entstehen, je größer der zeitliche Abstand zwischen der Impfung und den ersten Beschwerden ist.

Gemäß § 84 Abs. 2 des Arzneimittelgesetzes (AMG) wird zwar vermutet, dass der Schaden durch das Arzneimittel verursacht ist, wenn es geeignet ist, den Schaden zu verursachen. Eine Beurteilung erfordert jedoch den Sachverständigenbeweis, der von zahlreichen (auch individuellen Faktoren des Gutachters) abhängt.

Eine konkrete Eignung, den Schaden zu verursachen kann dann angenommen werden, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, dass das Arzneimittel die bestimmte Krankheit ausgelöst hat. Dies wurde bei anderen Arzneimitteln beispielsweise bejaht, wenn eine bestimmte Charge verunreinigt war und deswegen zurückgerufen werden musste. In diesen Fällen muss der Patient nur noch nachweisen, dass er die verunreinigte Charge des Arzneimittels erhalten hat.

Wenn dieser Nachweis gelingt, hat der Pharmahersteller noch immer die Möglichkeit einen Gegenbeweis zu führen. Hierzu muss er dann beweisen, dass sein Arzneimittel nicht geeignet ist, den Gesundheitsschaden hervorzurufen. Gelingt ihm dieser Nachweis, kommt § 84 Abs. 2 AMG nicht zur Anwendung. Folge dessen ist, dass wieder die Ausgangslage besteht, in der der Geschädigte für den konkreten Fall den Nachweis der Kausalität erbringen muss.

Wie haben die Gerichte bisher entschieden?

Zwischenzeitlich sind die ersten Urteile in den Impfschadensprozessen veröffentlicht worden. Bisher wurde noch keiner der – erstinstanzlichen – Rechtsstreite zugunsten der geschädigten Personen entschieden.

Das Landgericht Hof wies mit Urteil vom 03.01.2023 – Az. 15 O 22/21 – die Klage einer geschädigten Patientin ab, die nach der Impfung mit Vaxzevria (Hersteller: AstraZeneca) eine Darmvenenthrombose erlitt. Nach Auffassung des Gerichts bestehe kein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis, das Voraussetzung der Haftung nach § 84 des Arzneimittelgesetzes (AMG) ist, da es auf die Gesamtheit der potentiellen Anwender ankomme.

Das Landgericht beruft sich hierbei auf die Ausführungen des Herstellers unmittelbar nach der Impfung und betont, dass der Nutzen des Impfstoffs bei der Bekämpfung der Pandemie die Risiken einer -wenngleich schwerwiegenden und tödlich verlaufenden Gerinnungsproblematik- überwiegt. Dies auch, weil COVID-19 selbst bei Patienten Blutgerinnungsstörungen verursachen kann.

Zwar handelt es sich bei dieser Entscheidung um einen Einzelfall, abzuwarten bleibt aber, ob die Gerichte auch in anderen Fällen zu dieser Einschätzung gelangen.

Es kommt, wie bereits ausgeführt, auch immer auf die sachverständige Beurteilung der jeweiligen Gutachter an, von denen der weitere Ausgang des Prozesses abhängig ist. Zu berücksichtigen ist immer, dass selbst bei einer Entscheidung zugunsten der Geschädigten dies nicht bedeutet, dass auch das eigene Verfahren erfolgreich verlaufen wird. Die Urteile stellen Einzelfallentscheidungen dar, die nicht ohne weiteres auf andere Schadensfälle übertragen werden können. Eine Überprüfung durch spezialisierte Anwälte ist unumgänglich, die im Einzelfall eine entsprechende Prognose nach Einsicht aller Unterlagen geben können.

Es bleibt mithin weiter abzuwarten, wie die anhängigen Rechtsstreitigkeiten entschieden werden. Zum aktuellen Zeitpunkt ist es nicht möglich, einen „Trend“ zu erkennen.

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